Dorfbrand 1716

300 Jahre nach dem Dorfbrand: Gedenkabend stößt auf riesige Resonanz


Regen am Dienstag- und am Donnerstagabend, aber am Mittwoch erlebt Ober-Mörlen einen strahlend schönen Sommertag. Am "Mühleck" glänzt ein Banner in der Abendsonne. "Der große Dorfbrand von Ober-Mörlen" ist in großen Lettern über einem historischen Ortsplan zu lesen, und dass auf den Tag genau vor 300 Jahren, am 27. Juli 1716, an dieser Stelle ein verheerender Brand ausbrach. Das war gegen Mittag an jenem heißen Sommertag. Ein Großteil der bäuerlichen Bevölkerung arbeitete auf den Feldern. Binnen zwei Stunden legte ein Feuersturm ihr Dorf in Schutt und Asche.

Das ganze Dorf abgebrannt? Heute kaum vorstellbar. Wir haben ja die Feuerwehr. Und Ziegel auf den Dächern. Damals hatte jede Familie einen Löscheimer vorzuweisen. Die Dächer waren mit Stroh gedeckt. 1500 Ober-Mörler hatten keine Chance gegen die Feuersbrunst. Aber sie hatten die Kraft, ihr Dorf wieder aufzubauen und den Grundstein zu legen für das pulsierende Dorfleben von heute. Als am Mittwochabend die Menschen aus allen Himmelsrichtungen an den damaligen Brandherd strömten, taten sie dies, um der unfassbaren Geschehnisse zu gedenken und den Vorfahren ihren Respekt zu zollen.

Junge und Alte kommen ans "Mühleck". Eine Frau bringt Blumen mit, um den Platz zu verschönern. Die Feuerwehr rückt mit einer Fahnenabordnung an - und fast wieder ab: Glück gehabt, Fehlalarm. Überall sind die Menschen ins Gespräch vertieft. Schlagartig wird es still am Platz. Die Usatalmusikanten blasen eine Fanfare. Inspiriert vom Martinshorn, hatte Tubist Hansjörg Weckler die Klänge eigens für diesen Gedenkabend notiert - ein markanter Auftakt zu "Lobt den Herrn" nach Purcell's barockem "Trumpet Voluntary".

Sie freue sich über das große Interesse an der Ortsgeschichte, unterstreicht Ober-Mörlens Erste Beigeordnete Kristina Paulenz und dankt der Initiativgruppe "Wir für unser Dorf" für die Vorbereitung einer ganzen Veranstaltungsreihe fürs "Brandjahr". Aus der Gruppenmitte geht Thomas Bundschuh mit einem Auszug aus Schillers "Glocke" auf die Menschen zu: "Flackernd steigt die Feuersäule, durch der Straße lange Zeile wächst es fort mit Windeseile;(...) glühn die Lüfte, Balken krachen, Pfosten stürzen, Fenster klirren, Kinder jammern, Mütter irren, Tiere wimmern unter Trümmern" - als hätte Schiller 1799 bei seiner fesselnden Beschreibung des Glockengusses den Dorfbrand vor Augen gehabt.

Über 200 Menschen laufen gemeinsam durch die Gassen in die Kirche. Aus Händels "Salomon"-Oratorium umfängt sie "Die Ankunft der Königin von Saba". Die Orgel triumphiert unter Lisa Beuthners flinken Fingern, die Trompete an Philip Schütz' Lippen strahlt mitten ins Herz. "Wer seine Vergangenheit nicht kennt, den kann es die Zukunft kosten", zitiert Pfarrer Jürgen Rump zum Auftakt der ökumenischen Gedenkandacht. Sein katholischer Amtsbruder Pfarrer Ryszard Strojek erinnert an die Kraft gemeinschaftlichen Handelns, der Ökumenekreis erinnert an die Kraft des Wassers und der Kirchenchor singt sein schönstes "Schau auf die Welt" (John Rutter).

Ein wunderbares Wir-Gefühl habe sie berührt, beschreibt später eine Frau die friedvolle Stimmung im Gotteshaus, und als im Kirchturm das große Geläut beginnt, wird auch des Pfarrers Wunsch wahr: "Mögen Ihnen die Glocken ins Herz läuten". 300 Jahre zuvor mag die Sturmglocke zuerst noch gebimmelt haben, am Ende des Tages lag sie geschmolzen im zerstörten Kirchturm. Das geht unter die Haut, wenn man darum weiß.

Zwei, die sich seit Wochen intensiv mit den Geschehnissen vor 300 Jahren befasst haben, sind der bekannte Lokalhistoriker Manfred Breitmoser aus Oppershofen und die Ober-Mörler Archäologin Dr. Vera Rupp. Ihr reich bebilderter Vortrag stößt zum Abschluss des Gedenktages auf riesiges Interesse. Im proppenvollen Bonifatiussaal erfahren die Zuhörer, dass der damalige Voigt am Tag nach dem Brand die Ereignisse für seine Chefs minutiös aufschrieb. Original-Schriften, die Breitmoser unlängst per Zufall im Hessischen Staatsarchiv in Darmstadt entdeckte.

Man erfährt von Toten und einer Handvoll stehen gebliebener Häuser, von Feuersturm, Feuerläufern, Löscheimern und Wachsoldaten. Wie in Schillers Glocke: "Alles rennet, rettet, flüchtet, taghell ist die Nacht gelichtet; durch der Hände lange Kette um die Wette fliegt der Eimer; hoch im Bogen spritzen Quellen, Wasserwogen. Heulend kommt der Sturm geflogen, der die Flamme brausend sucht." Breitmoser und Rupp berichten von Unterkünften in den Nachbargemeinden, von Holz aus Erfurt und strengen Wiederaufbauregeln - und dass sich die Ober-Mörler nicht wirklich daran hielten. "Ist doch klar, dass die Menschen damals ihre neuen Häuser auf den alten Grundmauern aufbauten." Die waren ihnen geblieben - und die Kraft, einen Neubeginn zu wagen.